
Grindelwald: Im Bann des Eigers
Grindelwald | In Grindelwald ist der Eiger allgegenwärtig, sowohl physisch als auch wegen seiner dramatischen Geschichte. Im Zuge des Klettererlebnisses «Stollenloch Eigernordwand» hat man nun die einzigartige Möglichkeit, einen hautnahen Eindruck der sagenumwobenen Nordwand zu gewinnen. Wer den Eiger lieber aus der Distanz bestaunen möchte, dem sei alternativ der Schlittel-Wanderweg «Eiger Run» empfohlen. Marion Widmer und Justin Hession berichten aus erster Hand.
Unser Adrenalinspiegel steigt langsam aber sicher, als wir uns Grindelwald nähern und den Eiger erblicken, der sich soeben aus einem Wolkenband befreit. Bisher kannten wir den fast 4000 Meter hohen Berggiganten, der mit Mönch und Jungfrau das weltberühmte Dreiergespann bildet, vor allem aus Filmen und Büchern. Bekanntlich wagen es nur sehr geübte Alpinisten, die berüchtigte Eigernordwand zu durchklettern, gilt sie doch als eine der anspruchsvollsten Bergetappen überhaupt. Deshalb mutet es beinahe unwirklich an, dass wir heute selber in die legendäre Nordwand steigen werden.
Auf den Spuren von Ueli Steck
Am Bahnhof Grindelwald werden wir durch Teammitglieder von Grindelwald Tourismus begrüsst. Auch sie sind aufgeregt, weil es für zwei von ihnen ebenfalls das erste Mal sein wird, dass sie diesem Abenteuer beiwohnen können. Zusammen steigen wir in die Wengernalpbahn ein und lassen uns von der Zahnradbahn zur «Kleinen Scheidegg» chauffieren. Dort wartet bereits Bergführer Beat Hofer vom Outdoorveranstalter «Eigervision» auf uns. Er klärt uns zunächst anhand einer Informationstafel gegenüber dem Eiger über die verschiedenen Routen auf, die durch die Nordwand zum Gipfel führen.
Von Beat lernen wir, dass die Heckmair-Route bis heute als eine der bekanntesten Aufstiege durch die Nordwand gilt. Sie ist nach dem deutschen Bergsteiger Anderl Heckmair benannt, der es 1938 zusammen mit einer Seilschaft zum ersten Mal schaffte, die Eigernordwand zu durchklettern sage und schreibe 80 Jahre, nachdem der Eigergipfel bereits über die Westroute erklommen worden war. Obwohl andere Berge deutlich höher sind als der Eiger, galt seine Nordwand wegen der langen und überaus schwierigen Kletterpassagen, den Felsstürzen sowie den plötzlichen Wetterumschwüngen bis 1938 als unbezwingbar. Doch gerade wegen des Schwierigkeitsgrades der Eigernordwand und der Dramen, die sich hier abspielten, erlangte der Eiger weltweite Bekanntheit.
Auch wenn die Durchsteigung der Eigernordwand heutzutage u.a. dank moderner Ausrüstung einfacher zu meistern ist als noch 1938, dauert sie im Schnitt immer noch gut zwei Tage, erklärt Beat. Übernachtet werde in einem Biwak. «Wie ihr euch vorstellen könnt, schläft man nicht allzu tief», weiss er aus eigener Erfahrung. Aber nicht, wie wir annehmen, aus Respekt vor der Höhe, sondern wegen der Kälte. Kaum zu glauben, dass der leider vor drei Jahren verunglückte Schweizer Bergsteiger Ueli Steck die Eigernordwand in nur 2 Stunden und 22 Minuten zu bezwingen vermochte. Eine wahre Meisterleistung!
Ausstieg im historischen Eigertunnel
Nach der Einführung wird es ernst: Mit der Jungfraubahn fahren wir in den Eigertunnel ein, der den Berg zur Hälfte umrundet. Der Bau der geschichtsträchtigen Bahnstrecke wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts begonnen und 1912 mit der Erschliessung des Jungfraujochs, der höchstgelegenen Bahnstation der Welt, fertiggestellt. Beim sogenannten Stollenloch legt der Zugführer für uns einen ausserplanmässigen Halt ein. Durch das Stollenloch wurde beim Tunnelbau Geröll und Schutt entsorgt. Seither dient es als Einstieg für Bergsteiger und Rettungskräfte verunglückter Alpinisten. Die Haltestelle an sich besteht einzig aus ein paar Holzbänken und einer Holztür mit einem kleinen Fenster. Damit wir beim Verlassen des Zuges nicht im Dunkeln über die öligen Gleise fallen, lässt der Zugführer die Lichter an und wartet geduldig, bis wir sicher auf der Seite des Stollenlochs angelangt sind. Nun weist uns Beat an, Helme und Klettergurte mit Karabinern anzulegen. Beim kurzen Aufstieg zur Holztür sollen wir vorsichtig sein, weil es kräftig ziehe, sobald er die Tür des Stollenlochs öffne.
Atemberaubende Aussicht
Etwas nervös steigen wir durch die Tür auf die Schneeveranda, die Beat einige Stunden zuvor aus dem zugeschneiten Eingang zum Stollenloch gegraben hat. Was uns hier erwartet, übertrifft unsere Vorstellung bei Weitem, denn die Aussicht auf die umliegende Berglandschaft ist phänomenal. Grindelwald, Lauberhorn, Männlichen, Tschuggen, bis hin nach Thun wir können uns kaum sattsehen am wunderschönen Alpenpanorama. Simone Tillmann von Grindelwald Tourismus erklärt uns, dass zu unserer Linken der erste Abschnitt der berühmten Lauberhornabfahrt ersichtlich ist. Als Skifan ist es besonders beeindruckend zu sehen, wo sich die weltbesten Skifahrer in die Tiefe stürzen. Unser Blick schweift weiter zu den ebenfalls komplett in Schnee gehüllten Bergen Männlichen und Tschuggen. Von hier oben wirken sie wie kleine Puderzuckerhügel. Und schliesslich erspähen wir, ganz unten im Tal, das nun winzig erscheinende Grindelwald.
Im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend ist auch die Erkenntnis, wie steil die Eigernordwand tatsächlich ist. Entsprechend mutig empfinden wir die Entscheidung von Fabienne Weiss, sich als Gruppenerste von unserem sicheren Felsvorsprung abseilen zu lassen. Beats ruhige und humorvolle Art und Fabiennes Strahlen lassen unsere Bedenken schwinden. So kommt es, dass wir uns einer nach dem anderen Fabienne anschliessen und danach mithilfe von Eispickeln wieder zu unserem Ausgangsort hochklettern. Als ich an der Reihe bin, rutscht mir das Herz trotzdem zuerst einmal in die Hose. Vorsichtig lehne ich mich ins Seil. «Sitz richtig ins Seil rein, dann geht es einfacher», erklärt Beat. Und tatsächlich: Je mehr ich mich nach hinten lehne, desto fester ist mein Stand. Schritt für Schritt schreite ich langsam rückwärts die Eigernordwand hinunter und es fängt an, richtig Spass zu machen! Schliesslich wage ich sogar, ein paar Blicke in die Tiefe zu werfen. Da ich mein Schicksal aber nicht allzu sehr herausfordern will, signalisiere ich Beat schliesslich, dass ich nun gerne zurückkehren möchte. Überraschenderweise erfordert der Aufstieg fast mehr Mut als das Abseilen, weil man den Zug des Seils weniger spürt. Aber dank Beats fachkundigen Instruktionen und den beiden Eispickeln klettere ich ohne Problem zur Gruppe zurück.
Tief beeindruckt von der einzigartigen Erfahrung steigen wir nach 1.5 Stunden wieder in den Zug zur «Kleinen Scheidegg.» Als sich die Aufregung etwas legt, macht sich der Hunger bemerkbar. Wir gönnen uns deshalb eine herzhafte Spezialität im Bergrestaurant Kleine Scheidegg, gleich neben der gleichnamigen Bahnstation. Während dem Essen erzählt Beat, dass pro Jahr um die 20 bis 30 Gruppen das Stollenloch-Erlebnis bei ihm buchen. Oft seien es Firmen, die ihren Mitarbeitern einen besonderen Ausflug bieten möchten.
Der Eiger als stetiger Begleiter
Frisch gestärkt nehmen wir als nächstes den Schlittel-Wanderweg «Eiger Run» in Angriff. Remo Spieler vom Tourismusbüro erklärt, dass diese Strecke eigentlich bis nach Grindelwald geht. Weil unsere Zeit aber etwas knapp ist, schlägt er stattdessen vor, bis zum Weiler Alpiglen zu schlitteln und mit dem Zug zurück nach Grindelwald zu fahren. Wir sind damit einverstanden, denn so können wir die tolle Aussicht auf den Eiger und die Jungfrau-Region ohne Eile geniessen.
Die 4.9 km lange Route nach Alpiglen führt zunächst den Bahngleisen der Wengernalpbahn entlang in Richtung Eiger, der majestätisch über uns thront. Es wird uns erst so richtig bewusst, wie imposant die Nordwand ist. Wir müssen uns fast kneifen, als wir realisieren, dass wir uns heute Morgen tatsächlich an ihr abgeseilt haben! Im Gegensatz dazu sind die ersten 2 km des Wander-Schlittelweges ziemlich flach. Dementsprechend gemächlich ist unsere Fahrt zu Beginn. Immer wieder steigen wir ab und marschieren ein paar Meter. Dies gibt uns die Möglichkeit, die verschneite Winterlandschaft in aller Ruhe auf uns wirken zu lassen. Sobald es etwas steiler wird, schwingen wir uns wieder auf die Schlitten und lassen uns jauchzend bergab tragen. Obwohl die Jungfrau-Region bei Touristen aus aller Welt sehr beliebt ist, ist es auf unserem Weg Richtung Alpiglen herrlich menschenleer und ruhig.
Nach einer Stunde unbekümmerten Wander- und Schlittelspasses erspähen wir unsere Destination. Eigentlich schade, dass das Bergabenteuer nun schon fast zu Ende ist. Zeitlich geht es jedoch bestens auf die Wengernalpbahn fährt einige Minuten später ein, um uns wieder nach Grindelwald zu bringen. Während wir den eindrücklichen Tag nochmals Revue passieren lassen, leuchtet der Eiger friedlich im Abendrot. Nun, da wir ihn selber aus nächster Nähe gesehen und erlebt haben, können wir die Faszination bestens nachvollziehen, die er seit Jahrhunderten auf die Menschen ausübt.
Praktisches
Grindelwald Tourismus
3818 Grindelwald
+41 (0)33 854 12 12
Eigervision GmbH
3818 Grindelwald
+41 (0)33 853 55 66
Erlebnis Stollenloch Eigernordwand
Teilnehmerzahl: 5 bis 15 Personen Dauer: halb- oder ganztägig, je nach Kombination des Programmes
Kosten: Auf Anfrage
Saison: Ganzjährig durchführbar
Kombinationsmöglichkeit: Besuch Jungfraujoch mit Gletschererlebnis und/oder Indoor-Führung, Schlittenfahrt im Winter, Wanderung im Sommer
Kontakt: eigervision.ch
Spot Tipp: Schlittelspass «Eiger Run»
Länge: 3.5 Kilometer ab Alpiglen
Im Schatten des Eigers mit Schuss ins Tal: Der «Eiger Run» ist mit einem Gefälle von bis zu 36 Prozent schon bei Tag spektakulär. Noch aufregender ist er nachts (donnerstags und samstags). Die Wengernalpbahn fährt auch am Abend zum Start nach Alpiglen in nur fünf Minuten und mit der «Eiger Run Abendkarte», so oft man mag. Schlitten kann man bei Wyss Sport hinter der Bahnstation «Kleine Scheidegg» mieten. Nach der Fahrt auf dem «Eiger Run» können die Schlitten in Grindelwald
Grund und Brandegg abgegeben werden.Der Rücktransport mit der Bahn kostet CHF 5/Schlitten und wird im Voraus bezahlt. Bucht man online, erhält man 10 Prozent Rabatt.
Rail Info Interlaken
Höheweg 35
3800 Interlaken
+41 (0)33 828 72 33
Schlittelmiete: WyssSportwyss-sport.ch