Genussvolle Auszeit im Tessin: Auf neuen Gleisen zu alten Wegen

Fotos: Jacqueline Vinzelberg

Rivera | Bald reist man noch schneller in den Süden die geplante Eröffnung des neuen Ceneri-Basistunnels Ende 2020 macht es möglich. So bleibt auch vor Ort mehr Zeit, um das vielseitige Angebot zu geniessen. Sei es mit einer Wanderung auf dem neuen Themenweg über den Monte Ceneri oder einer kulinarischen Shoppingtour auf dem Markt von Bellinzona.

Gaby rückt ihren Panamahut zurecht und nestelt an ihrer Tasche. Wir können es kaum erwarten, in Bellinzona aus dem Zug zu steigen und freuen uns auf ein erlebnisreiches Wochenende in der Hauptstadt des Tessin. Die Strahlen der Morgensonne tasten die Fassaden der Altstadthäuser ab, während geschäftige Markthändler mit dem Aufbau ihrer Marktstände zugange sind. Über allem wachen die imposanten Mauern des Castelgrande, eine der drei mächtigen Burganlagen von Bellinzona. Mit dem Fahrstuhl gelangen wir von der Piazzetta Della Valle hinauf zum Burghof und machen zunächst eine kurze Erkundungstour. Ein Blick von oben auf die zauberhafte Szenerie der Stadt versetzt uns in Hochstimmung und macht Lust, sich ins bunte Treiben auf dem Markt zu mischen.

Lavendelduft und frische Polenta

Der Marktstand von Rosa zieht uns magisch an. Nudeln, Gewürze, Wurstwaren und Honig sind nur einige der Köstlichkeiten, die sie anbietet. Viele davon sind hausgemacht. Gaby wird fündig: «Pepe della Valle Maggia», eine mit Grappa verfeinerte Pfefferspezialität, lässt das Herz der Hobbyköchin höherschlagen. Rund hundert Meter weiter empfängt uns ein Traum in Blau: Lächelnd steht Martino aus Lugano hinter seinem Verkaufstisch, den er liebevoll mit Lavendel und Lavendel-Produkten dekoriert hat. Gaby ist hingerissen vom Duft eines Körpersprays. Wenngleich Lavendel keine allzu lokaltypische Spezialität ist, passt Martinos Stand sehr gut hierher: Er verführt die Sinne der Besucher.

Wir schlendern weiter durch die Gassen, schauen hier und probieren da. In einem Hauseingang hat sich «Cucina Da Jonny» installiert. Im grossen Kessel wird unter den staunenden Blicken der Passanten Polenta gekocht und direkt verkauft. Auf dem Platz um die Ecke duftet es nach Käse und frisch gebackenem Brot. Da fällt es leicht, sich für ein feines Picknick für die anstehende Wanderung einzudecken: Kurz hüpfen wir dafür zurück in den Zug. Dank des «Ticino Tickets», welches uns ab einer Übernachtung im Tessin zusteht, erhalten wir freie Fahrt im Öffentlichen Verkehr. Schon nach wenigen Minuten steigen wir in Cadenazzo wieder aus und starten direkt vom Bahnhof auf dem Themenweg «Via del Ceneri» auf den Monte Ceneri. Der rund 2-stündige Wanderweg passiert zahlreiche informative Stationen rund um die Themen Handel, Transport und Reisen. Er wurde im Frühjahr 2020 anlässlich der geplanten Fertigstellung des Ceneri-Basistunnels eröffnet und erklärt vieles über die alten Saumpfade und Passwege der Alpen.

Die Zeit scheint stillzustehen

Schon nach wenigen Minuten haben wir den Ortsausgang von Cadenazzo erreicht. Hier dringen plaudernde Stimmen unter bunten Sonnenschirmen hervor; der schattige Garten der «Pizzeria delle Alpi» lockt zur Einkehr doch wir laufen weiter und haben das erste kleine Etappenziel vor Augen: die alte, perfekt restaurierte Mühle und Stampfe von Precassino. Gerne würden wir die Füsse ins kühle Nass tauchen, das plätschernd das Mühlenrad umspielt und unter einer kleinen Brücke durchfliesst.

Doch das Wellnessvergnügen muss warten. Zuvor entschwinden wir in die Vergangenheit und begegnen auf dem Weg weiteren Sehenswürdigkeiten und Zeitzeugen des letzten Jahrhunderts. So beispielsweise das kleine Dorf Robasacco mit seinen gepflegten alten Häusern und den blühenden Vorgärten. Eine Katze streicht um die Treppe der 700 Jahre alten Kirche San Leonardo, ein Hund bellt, die Zeit scheint stillzustehen. Unter den Kronen prächtiger Kastanienbäume schlängelt sich der Weg weiter bergauf. Auf einer Lichtung finden wir einen einladenden Rastplatz und studieren die Infotafel. Sie ist nur eine von vielen, die uns entlang der «Via del Ceneri» begegnen. Die Tafeln sind liebevoll bebildert und illustriert und geben umfassende historische und kulturelle Einblicke.

Zum Beispiel in eine Zeit, als in den Wäldern der Region noch Banditen und Räuber hausten, die Handelsreisende plünderten. Auch erzählen sie, wie die Früchte des weitläufigen Kastanienwaldes den Bewohnern der umliegenden Dörfer das Überleben in schweren Zeiten sicherten. Kurze Zeit später lädt ein Radiomuseum auf eine Stippvisite ein, welches immer mittwochs geöffnet ist. Von 1933 bis 2008 wurde hier die nationale Mittelwellenstation «Monte Ceneri» betrieben. Das Programm wurde während des Zweiten Weltkrieges europaweit als einzige freie Stimme in italienischer Sprache ausgestrahlt.

Geschafft. Nach fast acht Kilometern haben wir die Piazza Ticino auf dem Monte Ceneri erreicht. Erst kürzlich wurde der neu gestaltete Platz als Fotospot in die «Grand Tour of Switzerland» aufgenommen, die als landschaftlich schönste Route der Schweiz die Highlights des Landes verbindet. Unübersehbar reckt sich auf dem Platz das Totem Ticino gen Himmel. Der grosse Monolith besteht aus Gestein, das beim Bau der neuen Alpentransittunnel von Gotthard und Ceneri aus dem Berg befördert wurde, und steht für den Aufbruch in ein neues Mobilitätszeitalter. Denn mit der für Dezember geplanten Eröffnung des Ceneri-Basistunnels wird ein Jahrhundertprojekt vollendet: die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT). Dazu gehören auch der in 2007 eröffnete Lötschberg-Basistunnel und der 2016 in Betrieb genommene Gotthard-Basistunnel.

Die NEAT bietet als moderne Bahninfrastruktur auf dem Nord-Süd-Korridor durch die Alpen eine umweltschonende Alternative zur Strasse für den Güterverkehr ebenso wie für Reisende. Der neue 15,4 Kilometer lange Tunnel durch den Monte Ceneri ermöglicht nicht nur mehr Bahnverbindungen; er verkürzt auch die Fahrzeit auf der Gotthard-Achse zwischen Zürich und Lugano auf knapp zwei Stunden und die auf der Zugroute Zürich-Mailand auf rund drei Stunden. Für die Region Bellinzona-Locarno-Lugano bedeutet das Tunnelprojekt zudem einen Quantensprung im öffentlichen Verkehr. Es erlaubt eine Direktverbindung zwischen Lugano und Locarno, die nur noch 30 Minuten dauert.

Eine Schatztruhe an Abenteuern

Auch am zweiten Tag starten wir in Rivera und freuen uns heute auf den Besuch des «Tamaro Park.» Wie gut, bietet unser RailAway-Kombi-Ticket Ermässigung auf die Bergbahnfahrt und vergünstigten Eintritt im «Splash e Spa Tamaro», der Wasser- und Wellnesswelt am Fusse des Monte Tamaro. Doch «erst Action dann Relaxen.» Also fahren wir mit der Gondel bergwärts. An der Mittelstation steigen wir aus, denn der Abstecher in den Seilpark muss einfach sein. Obwohl es für meine Freundin die erste Kletterpartie dieser Art ist, hat sie den Kniff mit dem Umhaken der Sicherheitskarabiner unter Anleitung kompetenter Helfer und etwas Übung in Bodennähe schnell raus.

Schliesslich schwingt sich Gaby mit einem lauten «Oooh» durch luftige Höhen und jubelt vor Freude. Nach dieser Aufregung gondeln wir weiter zur Alpe Foppa. Dort geben wir uns auf der Sommerrodelbahn zunächst einem weiteren Geschwindigkeitsrausch hin und sind nun endgültig reif für eine kulinarische Auszeit nach Tessiner Art: Das Bergrestaurant bietet traditionelle Küche und regionaltypische Spezialitäten wie Tessiner Polenta mit zweierlei Käse, hausgemachte Lasagne oder Kuttelneintopf nach Tessiner Art.

Schon während des Essens fesselt ein imposantes Bauwerk unsere Blicke. Die Kapelle «Santa Maria degli Angeli», errichtet vom weltberühmten Architekten Mario Botta, strahlt Ruhe und Kraft aus. Mit ausladend geschwungenen Treppen und der in sich verschlungenen Form verlängert sie den Bergrücken, auf dem sie thront, Richtung Himmel. Wir stehen schon bald andächtig staunend auf dem kleinen überhängenden Balkon und stellen uns vor, in der Luft zu schweben. Ein wahrhaft erhabenes Gefühl.

Es gäbe noch vieles mehr hier oben zu entdecken, wie etwa den spektakulären, alpenquerenden Wanderweg Tamaro-Lema. Doch es zieht uns Richtung Wasser genauer gesagt ins «Splash e Spa Tamaro.» Wenig später räkeln wir uns dort unter freiem Himmel auf der Sprudelliege im Panoramabecken, das den Blick auf die Seilbahn und den Tamaro freigibt. Die mitreissenden Wogen im Wellenbad schütteln uns kräftig durch. Gabys Kopf ist dabei mehr unter als über Wasser und wir lachen wie unbeschwerte Kinder. Auch dem entspannenden Ritual, wie es der Hamam verspricht, können wir nicht widerstehen.

Auf den Liegen in der gepflegten Gartenanlage lassen wir die Seele baumeln und rufen uns später, auf der Heimfahrt im Zug, die zahlreichen Erlebnisse nochmals in Erinnerung. Gaby stellt ihre Tasche neben sich ab und nimmt ihren Panamahut vom Kopf. Wir sind uns einig: Unsere Entdeckungsreise durchs Tessin hat gerade erst begonnen.


Praktisches

Ticino Turismo

Via C. Ghiringhelli 7

6501 Bellinzona

+41 (0)91 825 70 56

ticino.ch

Spot Tipp: Der Markt im historischen Zentrum von Bellinzona findet samstags, von 07:30 bis 13:00 Uhr, statt.


Wandertipp «Via del Ceneri»

Der 2020 eröffnete Themenwanderweg beleuchtet Wan­derer, Pilger, Banditen und altes Wissen. Er entspricht dem Abschnitt der historischen «Via Gottardo», der durch Le Terre del Ceneri führt und regt die Wiederentdeckung eines Landschaftsstrichs an, der als Symbol der neuen zentralen Lage des Tessins angesehen wird.

Cadenazzo Roccolo Monte Ceneri/Piazza Ticino

Länge: 7.8 Kilometer (2,5 Stunden)

Höhenunterschied: 420 hm

Anforderung: leicht


Mit RailAway ins Tessin

Ein Wochenendausflug ins Tessin sorgt für perfekte Herbstmomente und bietet zahlreiche Entdeckungsmöglichkeiten auf engstem Raum. Verschiedene RailAway-Kombi-Angebote locken bei der An- und Abreise mit dem Öffentlichen Verkehr mit bis zu 30 Prozent Ermässigung vor Ort. Vier inspirierende Ideen für aktive und erholsame Tage im Tessin:

Die Burgen von Bellinzona

Castelgrande, Montebello, Sasso Corbaro das imposante Burgen-Trio von Bellinzona ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und eindrücklicher Zeitzeuge des Mittelalters. sbb.ch/bellinzona

Monte Tamaro Hochgenuss auf vielfache Art

Der Monte Tamaro bietet beeindruckendes Panorama, weltberühmte Architektur und kulinarischen Genuss auf der Alpe Foppa. sbb.ch/montetamaro

Splash e Spa Tamaro

Die Wasser- und Wellnesswelt verwöhnt und entspannt. Im Bereich «Spa» tauchen Besucher in eine ganz besondere Wohlfühlwelt ein. Im Bereich «Splash» wartet das Vergnügen. sbb.ch/splashespa-spa

Voralpenquerung Tamaro-Lema

Wandern und atemberaubende Weitblicke gehen auf diesem Weg Hand in Hand. Mit Blick auf den Lago Maggiore, bis ins Centovalli, Maggiatal, Verzascatal und nach Bellinzona bleibt dieser Ausflug pausenlos spannend. sbb.ch/tamaro-lema

Weitere RailAwayKombi-Angebote im Tessin: sbb.ch/railaway-tessin