Blauburgunderland: Auf ein Glas
Im Wein liegt die Wahrheit, heisst es. Doch im Blauburgunderland schmeckt man noch mehr darin. Hier ist Wein nicht nur die Erinnerung an eine Saison, sondern das Erbe einer Region, die sich dem Genuss verschrieben hat.
Idyllischer geht es kaum hoch über der pittoresken Kleinstadt Stein am Rhein reihen sich Weinreben in schnurgeraden Linien aneinander wie Soldaten beim Appell. Mal fallen sie die sonnenverwöhnten Hänge steil hinab, mal ziehen sie schwungvolle Parallelen zum Rhein, der das liebliche Tal wie ein blaues Band durchzieht.
Generationen von beherzten Weinbauern verdankt die Schweiz dieses malerische Weinanbaugebiet, das zum Schaffhauser Blauburgunderland zählt. Über Jahrhunderte hinweg schufen sie in mühevoller Handarbeit eine einzigartige Kulturlandschaft, die es zu bewahren und achtsam weiterzuentwickeln gilt. Eine Handvoll Produzenten teilen sich heute 32 Hektar Rebfläche, unterteilt in Parzellen oft weniger als einen Hektar gross. Der Grossteil der Fläche entfällt auf Blauburgunder (Pinot Noir) und Riesling-Silvaner, aber auch Spezialsorten wie Muscaris und Räuschling werden kultiviert. Die Böden sind flachgründig, oft sandig-kiesig und leicht. Das Terroir spricht durch die Wurzeln der Reben und gestaltet elegante und finessenreiche Weine, die bei Prämierungen immer wieder im Rampenlicht stehen. Trotzdem sind die edlen Tropfen jenseits der Kantonsgrenze wenig bekannt.
Ein Weinbauer, der dies ändern will, ist Michael Leibacher. Gemeinsam mit Bruder Martin, Mutter Elsbeth und Frau Selina bewirtschaftet er 4, bald 5 Hektare in vierter respektive fünfter Generation. Bei Degustationen weiss er, die Geschichten des «Chlingebergs» nach aussen zu tragen. Am grossen Holztisch im «Wein-Atelier», im lauschigen Garten unter der Linde oder direkt im Rebberg tauchen Genussmenschen in seine Welt und spüren aus erster Hand den frischen Wind, der durch das Blauburgunderland weht. Wer hier Wein anbaut, tut dies mit Hingabe und Leidenschaft und scheut nicht, aus der Reihe zu tanzen.
Leibacher selbst ist ein Schüler der Natur, der mit ihr und nicht gegen sie arbeiten will. Chemisch-synthetische Insektizide und Herbizide lehnt er ab. Stattdessen setzt er auf Pflanzensymbiosen, Biodiversität und Homöopathie. In seinen Rebbergen leben Bienenvölker, Weinbergschnecken und Marienkäfer. Er schafft mit Steinhaufen, Vogelhäusern und Gebüschen bewusst Lebensraum für Kleinlebewesen und Nützlinge aller Art. Die Trauben pflegt er mit Aufgüssen aus Brennnesseln oder Schachtelhalmen, um sie stark und widerstandsfähig zu machen und vor Krankheiten und Mangelerscheinungen zu schützen. So entsteht ein Wein im Einklang mit der Natur, der die Einzigartigkeit des Terroirs und die Besonderheit jedes Jahrgangs widerspiegelt. Die Philosophie nennt sich biodynamischer Anbau und erfüllt die Richtlinien von Bio Suisse. Der Erfolg spricht für sich. Am Grand Prix du Vin Suisse 2022 wurde Leibachers Pinot Gris mit Gold und der Chardonnay mit Silber prämiert.
Trotzdem dreht sich im Hause Leibacher nicht alles nur um den Wein. Auch Martins andere Liebe, der «Gottfried» ist allseits präsent nicht etwa der Schriftsteller, sondern das Bier, das 2016 in Martins Wohnzimmer das Licht der Welt erblickte; natürlich aus besten Zutaten und heute in Hemishofen direkt neben den Weinreben produziert. Michael liebt es, seine Gäste bei Degustationen durch eine ganze Welt der Genüsse zu führen vervollständigt durch Selinas Focaccias sowie dem Natura Beef und den Kichererbsen seiner Schwestern. Die Geschichte der Leibachers ist eine des Schaffens, Herstellens und Verwandelns, des Spagates von Tradition und Innovation und des Miteinanders, die das Blauburgunderland charakterisiert. Zurecht ist man hier stolz auf ein Erbe, das lebt und die Region belebt.
Vom einfachen Bistro über das «Wii-Schiff» bis zu mondänen Restaurants werden in und um Stein am Rhein die Spezialitäten der Region zelebriert. So geniesst man im Gilde Restaurant der Burg Hohenklingen nicht nur gehobene französische Küche, sondern auch Schaffhauser Rieslingcrémesuppe und trinkt Wein von Leibacher, der Familie Böhni, der Familie Stamm, dem Weinbau Trutmann und dem Weingut Florin nicht weil Regionalität Mode ist, sondern die Qualität stimmt. Dazu offenbart sich eine wunderbare Sicht auf Stein am Rhein mit deren mittelalterlichen Bausubstanz, den Erkern, Giebeln, Fachwerkhäusern und bemalten Fassaden.
Es ist ein Anblick, der sogar dem Pächterpaar Pia & Roman Bach-Rasmussen immer wieder aufs Neue den Atem verschlägt. Seit 2014 bewahren sie das Erbe des Wahrzeichens von Stein am Rhein und hauchen den historischen Räumlichkeiten mit viel Liebe und Leidenschaft neues Leben ein. Heute ist die um 1200 erbaute Burg Geschichtsstätte, Genussort und Eventlokalität zugleich. Ein Besuch hier ist eine Zeitreise durch die Jahrhunderte von der Adelsburg über die Hochwacht bis in die heutige Zeit. Man erkundet die alten Gemäuer, späht durch Schiessspaten, speist in der Burgstube, tagt, feiert oder erlebt Live-Theater im Rittersaal und der Obergarde. Es ist ein Ort, wo sich bei einem Glas Wein auf der Laube der Kreis wunderbar schliesst. Unten ruhen Stadt und Weinberge und bilden gemeinsam mit der Burg das perfekte Trio, um in die Genusswelt des Blauburgunderlands einzutauchen.
DEGUSTATIONEN
Leibacher Weine
Weinverkauf/Degustation im Wein Atelier: jeden Donnerstag von 17-21:00 Uhr.
Florin Weine
Degustation/Weinverkauf im Fronhof 26: jeden Freitag von 17-20:00 Uhr und Samstag von 10-13:00 Uhr.
Wiilädeli zum Raben, Stein am Rhein, offen Mittwoch bis Sonntag
Weitere Informationen
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